Eröffnungsrede 11. September 2011

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

mein Name ist Lisa Überall. Ich wurde gebeten, ein paar einleitende Worte zu sagen - dem komme ich gerne nach. Schön, dass Sie heute an diesem spätsommerlichen Septembervormittag den Weg hierher gefunden haben.
Kunst und Weinberg: klingt erst mal exotisch, ist es auch, und soll es auch sein. Aber wer sich hier etwas umsieht, merkt schnell, dass diese Kombination im Fall der Kunst von Karin Siegel einfach auch hervorragend passt. Ich finde, diese wunderbaren Reben bilden für die Kunst von Karin Siegel einen ausgezeichneten Rahmen. Man könnte sagen, dass zwischen der Weinberg-Materie und der hier gezeigten Kunst-Materie eine Art Blutsverwandtschaft besteht: Ton oder Erde und Holz, aber auch Metallteile ¿ man denke an das Arbeitsgerät des Winzers ¿ winken sich hier beiderseits zu; gestauchte Torsi ähneln steinernen Mäuerchen und Landschaftsreliefs mögen an ganze Weinberge erinnern.
Hier, mitten im Weinberg, denke ich bei dem Wort „Blut“ auch an die Farbe des köstlichen Rebensaftes und an die wohltuende Wirkung eines Gläschens davon. Und da bin ich wieder bei Karin Siegels Kunst. Die tut auch ihre Wirkung. Bei mir, bei Ihnen. Was für eine Wirkung ist das? Der Wirkungs-Begriff ist schwammig. Ich nehme mal ein anderes, anschaulicheres Wort: „Spur“. Das ist auch der von Karin Siegel gewählte Ausstellungstitel, „Spuren“.
Eine Spur ist etwas, das hinterlassen wird, etwas, das zurückbleibt. Dabei kann es sich um einen bleibenden Eindruck handeln. Z. B. der Eindruck bzw. Abdruck der Künstler-Hände auf dem Kunstobjekt. Ob Sie im Ton der hiesigen Exponate Fingerabdrücke finden können, weiß ich nicht, aber man kann diesen Gedanken auch weiter fassen und sagen, dass die Ausstellungsstücke an sich Spuren verkörpern. Spuren einer Idee, die sich hinter dem Ganzen möglicherweise abzeichnet. Nun sollte man freilich nicht wild darüber spekulieren, welche Gedanken Karin Siegel durch den Kopf gehen, während sie einen Kaninchenschädel mit Modelliermasse zum Vogelschädel umformt, indem sie einen Schnabel anfügt. Damit wäre man beim Produktionskalkül des Künstlers, und das stellt aus rezeptionsästhetischer Sicht eine große Unbekannte dar, die auch gar nicht erst in den Blick gerät. Betrachten wir jetzt also nur das Ergebnis des künstlerischen Schaffensprozesses, und versuchen wir es zu lesen wie eine Spur von etwas, das wir zwar nicht mit dem Verstand durchdringen, aber vielleicht doch mit dem Gefühl erspüren und vielleicht sogar mit dem Gefühl „begreifen“ können. Was könnte das sein?
Für mich gibt es einen gemeinsamen Nenner bei allen oder fast allen Kunstobjekten, die Karin Siegel geschaffen hat: Es geht um Lebendiges und um Totes, um Massives und um Zartes, um Dralles, Lebensfrohes und um Ausgebeintes, Deformiertes, Knöchernes, um Starkes und Schwaches, in jedem Fall um Vergängliches. Wenn ich Karin Siegels Kunst betrachte, fühle ich mich existentiell angesprochen. Existenz-Appeal will ich das mal nennen.
Wenn Sie dem jetzt gleich im Anschluss nachspüren wollen, tun Sie womöglich (!) auf Ihre Weise etwas ganz Ähnliches wie die Künstlerin selbst, während sie ihre Kunst hervorbringt, oder, wie ich eigentlich lieber sagen möchte, „macht“. Wundern Sie sich aber bitte nicht, wenn sich Ihnen die Ahnung von dieser Idee immer wieder entwindet.... in dieser Lesart haben wir es eben nicht mit der Sache selbst, sondern mit ihren Spuren zu tun.
In einer anderen Lesart haben wir es mit den bereits genannten handfesten Materialien zu tun: mit Ton, Metallstücken, Knochen usw. Hier nun wäre es die Art und Weise, wie der Ton geformt wird, wie die Schraube zweckentfremdet und der Knochen liebevoll umgestaltet wird, die dann zu uns spricht. Aber auch Freunde dieser „robusten“ Deutungsweise werden nicht umhin können, mehr im „Endprodukt“ zu sehen als die simple Aufaddierung von Materialien und die Kombination handwerklicher Bearbeitungstechniken. So einfach ist Karin Siegel eben gerade nicht! Aber das darf, kann und soll jeder für sich herausfinden.
Nehmen Sie das Ganze jetzt einfach in Augenschein, und wenn Sie auf etwas Unerwartetes, Fremdes, vielleicht sogar auf etwas aufregend Verstörendes oder auch urplötzlich Witziges stoßen, dann sind Sie der Sache vermutlich ganz gut auf der Spur. Ich wünsche Ihnen dabei viel Spaß.


Artikel aus der Waiblinger Kreiszeitung, 22.05.2010

Austellung in Rommelshausen



Vernissage Karin Siegel
in Kielmeyers Weinberg, Esslingen, Mettingerstraße
Sonntag 13.9.2009 um 11 Uhr


Ambiente und Werk


Dass wir uns hier in Kielmeyers Weinberg zur Eröffnung einer Kunstausstellung zusammengefunden haben, ist kein reiner Zufall, sondern der thematischen Ausrichtung der Arbeiten von Karin Siegel geschuldet.
Die Begegnung von Natur und Kultur, die Spannung zwischen beiden und ihre wechselseitige Ergänzung, prägen auch die hier gezeigten Arbeiten. In dieser Umgebung können uns die Werke so ansprechen, wie sie es eigentlich sollen: Nicht in der Sterilität eines coolen Museumsraums, sondern ganz wörtlich genommen auf dem Erdboden der Tatsachen und in Kellern und menschlichen Aushöhlungen der Welt, wie wir sie hier in einem Weinberg finden, der sehr viel früher auch schon einmal ein Steinbruch war.  Die Verbindung von Ausstellungsambiente und Werk unterstreicht die Fragen, die Siegel an uns mit ihren Arbeiten richtet, die Anregungen, die sie gibt, die Hinweise, Phantasien, Provokationen. Was wir hier sehen, folgt nicht den Spielregeln einer Ästhetik des so genannten Schönen, an die man noch im 19. Jahrhundert glaubte: Was wir hier sehen, folgt der modernen Ästhetik kommunikativer Intensität und damit sozialer Relevanz. Für uns heißt das, dass wir nicht einem vorgefassten Schönheitsbegriff folgen können, sondern uns ganz auf die kommunikativen Angebote der Werke einlassen müssen. Hier will jemand mit seinen Objekten zu uns sprechen. Für uns heißt das, dass wir diese Objekte nicht wie ein guten Wein schlürfen und konsumieren können, sondern in ernste Arbeit des Entschlüsselns, Nachdenkens und Weiterdenkens, ja des Weiterphantasierens eintreten müssen. So ähnlich wie der Spruch über der Platonischen Akademie, der nur dem Philosophiewilligen den Zutritt empfahl, können wir sagen: Nur wer sich auf die ernsthafte Auseinandersetzung mit dieser Art Mitteilung einlassen will, betrete diesen Raum.  


Material und Form

Was uns gleich auffällt, ist die Besonderheit der Materialien, die uns hier begegnen. Die Materialbasis der Werke von Karin Siegel spiegelt den fundamental grenzüberschreitenden Ansatz bei Intention und künstlerischer Kommunikationspraxis wider: Wir finden bei ihr gebrannte Erde, Metallteile, Eisenfundstücke, Computerausdrucke, Papier, Karton, aber auch Schwemmhölzer, Steine, Knochen, Pigment und Farben aller Art. Nicht zufällig sind bei unserer heutigen Ausstellung auch einige Objekte mit Asche bestreut. Siegel beschreibt sich und ihre Arbeitsweise als die einer „Sammlerin und Spurenleserin“, auf deren besondere Art des Nachrichtgebens wir uns einzustellen haben. Der heute in allen Museen der Welt vertretene Joseph Beuys hat mit seinem Projekt der Erweiterung des Plastikbegriffs dafür den Weg geebnet. Die moderne Plastik hat seitdem Abschied genommen von den kanonischen Materialien, Bronze, Marmor, Stein, Holz. Neue Materialien von Fett bis Honig kamen ins Spiel. Aber auch die formale Überwältigung des Materials hörte auf. Heute lauschen die Künstler ihren Materialien die Form eher ab. Materialkollage heißt Karin Siegels eigener Weg, wie Sie sehen werden. Frau Siegel findet ihr Material nicht nur überall in der Welt, sondern sie selbst gibt den Dingen eine neue Gestalt in ihrer Phantasie und kombiniert sie mit eigens gestalteten Formelementen. Dabei spielt der gebrannte Ton als Schlüsselmaterial eine große Rolle. Der Ton ermöglicht eigene Formgebung, die dann mit Ready mades kombiniert wird. Ein beeindruckendes Beipiel ist der „Torso einer schwangeren Kriegerin“, dessen Unterkörper aus Metallfundstücken besteht dessen Oberkörper aber aus einer aufgespaltenen Brust aus gebranntem Ton. In der Gestaltphantasie Karin Siegels bekommen die unverbunden herumliegenden Dinge der Welt neue Gestalt und hier nun stellt sie sie uns in ganz neuen Kombinationen als eigene Seinsformen vor Augen. Auffällig die stetige Verbindung von im Feuer gebrannten Ton mit Eisen und Erde; Verweis auf die vier Urelemente; die als dem Feuer geschuldetes Transformationsmaterial.

Leitmotive

Neben der Besonderheit der Materialien fällt noch etwas anderes auf: Die Gestaltphantasien beziehen sich immer wieder auf ganz bestimmte Leitmotive: Es sind bestimmte Tiere, insbesondere Vögel, für die die ausgestorbene Gattung der neuseeländischen Moas die Hauptanregung darstellt. Aber geben Sie Acht: die großen Vögelköpfe, die sie bisweilen zu erkennen meinen, kommen in dieser Größendimension nur bei Schweinen und Rindern vor. Wir treffen aber auch auf mythische Grenzüberschreitungen, wie die Tier-Mensch-Verbindungen des Minotauros (Mensch mit Stierkopf) oder des Kentauern (halb Mensch, halb Pferd), hier in der ungewöhnlichen Gestalt einer Kentaurin. Sie führt uns zum anderen wichtigen Leitmotiv: zur Frau als Kriegerin, als warrior, auch gerüstet und geharnischt. Davon wird noch zu reden sein.

 

Drei Räume. drei Themen

Meine Damen und Herren,
Karin Siegel präsentiert uns ihre Arbeiten gewissermaßen in drei Räumen in diesem Weinberg.
Was uns begegnet ist keineswegs heitere Kunst in schöner Naturidylle. Ganz und gar nicht. Dieser Weinberg ist selbst (wie die ganze Weinkultur) ein reines Kulturprodukt. Der Wein wird in einem Akt technisch-kultureller Verarbeitung, Bearbeitung und Umformung zu Wein. Und diese Gewächse hier wachsen nicht einfach so in den Himmel. Alles ist gebändigt, geformt in Reihe und Glied, aufgehängt und genötigt in Laubengängen zu wachsen. Der Felsenkeller ist ein gewaltsam in den Fels und Berg gehauener Stollen, wie sie am Ende des Kellers noch gut sehen können, wenn Sie hinter das große Leinwandgemälde schauen.
Und so ist denn das große Thema dieser Ausstellung wie aller gezeigten Werke das Thema Gewalt, Verletzung, Uneinssein, Gegensatz. Das tritt schon im ersten Ausstellungstrakt deutlich hervor. Wir haben es hier mit Installationen zu tun, die das zwiespältige Verhältnis der Kultur zur Natur aufs intensivste darstellen. Jedes Objekt geht auf Distanz zur reinen Natur. Die Objekte sind in die Erde geschraubt, etwas, was so nie in der Natur vorkäme, Metallbügel fesseln den Stein an die Erde, der doch eigentlich natürlich mit der Erde verbunden sein sollte und die schon erwähnte schwangere Kriegerin ist ein Torso mit gespaltener Brust. Ihr Unterleib ragt als industriell gestanztes Eisenblechwerk für Heizungsanlagen aus dem Boden des Weinbergs hervor. Und das von Siegel einfach lapidar „Tier“ genannte langgestreckte, ebenfalls mit Bügeln ans Erdreich gefesselte Objekt ist kein Tier, das irgendjemand schon einmal beobachtet hätte. Es ist ein künstlich Geschaffenes Gebilde, das vorgibt ein Tier zu sein, so wie die in Einheitsform gepressten Hähnchenfleischfetzen der Chicken-Mac-Nuggets bei MacDonalds vorgeben, natürliche Hähnchenteile zu sein, in Wahheit aber so in der Natur gar nicht vorkommen. Die Geschichte unseres Lebens mit der Natur ist eine Geschichte der Denaturierung, Umarbeitung, Verarbeitung und künstlichen Neuschaffung von Objekten. Das große Kriegerinnenbild am Ende des Laubenganges führt uns thematisch in den zweiten Ausstellungsraum im alten Petroleum-Keller mitten im Weinberg. In vielen Variationen sehen wir hier die Frau einerseits ästhetisch überhöht mit ihren Rundungen aller Art als plastische Idealgestalt. Aber immer sind es doch wieder Torsi. Fehlende Köpfe, fehlende Glieder. Der gebrannte Ton lässt nur ansatzweise die Illusion natürlicher Körper aufkommen, denn aus den Brüsten ragen systematisch Schrauben und die Scham besteht aus einem Eisenzwickel. Das sind keine romantischen Frauen. Es sind „kriegerische Weiber“, wie Karin Siegel sagt. Kriegerinnen aber töten, verletzen, schlagen, sind unfriedlich. Karin Siegel hat sich von der Vorstellung der Frau als Erdmutter, als Gebärerin und Versöhnerin im Lauf ihrer Entwicklung gelöst. Was wir auf den vier großen Leinwänden und in vielen Plastiken sehen, repräsentiert jetzt die andere, ideologisch lange ausgeblendete Seite des Weiblichen: den Kampf und die Aggression. Das Thema Frau wird im dritten Ausstellungsraum, der oben befindlichen Wein-Lodga, fortgesetzt. Hier fällt jedem Betrachter sofort die Auseinandersetzung mit den Frauenskulpturen der Niki de Saint Phalle auf. Es ist ein Gegenprogramm. Was bei Niki de Saint Phalle als fröhliche Popart auftritt, bekommt hier eine ernste Note. Diese Note entsteht, weil allen in dieser Ausstellung gezeigten Objekten der Duktus des Archaischen anhaftet, allein schon von der Materialgestaltung her. Da darf das Rohe nicht geglättet werden. Wir fühlen uns in die Form- und Denkwelt archaischer Kulturen versetzt.
Und in der Tat: Karin Siegel ist in ihrer künstlerischen Ausdruckswelt ganz tief von der Kultur der Neuseeländischen Ureinwohner geprägt. Es ist unverkennbar eine Suche nach Urwurzeln, nach Urformen, nach der Urzeit und der Ureinheit mit der Natur. So begrüßen uns gleich am Eingang archaische „Wächtervögel“, deren eine als „Große Vogelgöttin“ aus dem Jahre 2005 stammt. Wir können sie vor diesem Hintergrund zu verstehen suchen. Für uns könnte es mitten in Europa ein totemistisches Symbol sein, das uns zum Nachdenken über die Symbole unserer Welt bringt. Jeder von uns hat hier die Chance, sich auf ganz persönliche Weise von den Objekten ansprechen zu lassen. Meine Ausführungen waren demgegenüber nur als kleine Wegweisung gedacht.

 

Prof. Dr. Joachim Knape
Seminar für Allgemeine Rhetorik
Universität Tübingen

 


Beschädigte Schöpfung, Dr. Fiebig, Seite 1

Beschädigte Schöpfung, Dr. Fiebig, Seite 2

Beschädigte Schöpfung, Dr. Fiebig, Seite 3


Zitat aus ESSLINGER ZEITUNG, 15.9.2009


Sammlerin und Spurenleserin

ESSLINGEN:
In Kielmeyers Weinberg und Gewölbekeller stellt Karin Siegel ihre neuen Arbeiten aus

Karin Siegel erläutert ihren Gästen ihr Werk
Karin Siegel (links) erläutert ihren Gästen ihr Werk       Photo: Esslinger Zeitung


Die „Schwangere Kriegerin“ liegt auf dem Erdboden, ein Torso mit hochgewölbtem Bauch und gespreizten Beinen, die Brust im Harnisch. „Man darf den Bauch anfassen“, meint ihre Schöpferin Karin Siegel. „Dann wird er auf Dauer ganz glatt“. Noch bis zum nächsten Sonntag gehen Kunst und Natur im Kielmeyerschen Weinberg und Gewölbekeller an der Mettinger Straße eine spannende, den Betrachter herausfordernde Symbiose ein. Unter den reifenden violetten Lembergertrauben und im in den Fels getriebenen Keller zeigt die Neuhausener Künstlerin neue Plastiken, großformatige Pinselzeichnungen und Skizzen. „Mir geht es um Vergänglichkeit und Verletzlichkeit. Aber auch um die Kraft, mit der Frauen überleben“, erklärt Siegel. Die weibliche Figur, von der Schwangeren umformuliert zur Kriegerin, steht dabei im Vordergrund. Als Kentaurin und gehörnte Gespielin des Minotaurus findet sie in archaische Rollen. Als Weinkönigin verleiht sie der Ausstellung ihren Namen und einen Zug zum Dionysischen. Tiere, Hühner, aber auch der auf Neuseeland von den Maoris ausgerottete Vogel Moa werden zum Symbol einer Natur, die sich der Mensch untertan gemacht hat. „Besonders der neuseeländische Film ,Once were warriors‘ („Die letzte Kriegerin“) hat mich beeinflusst“, berichtet die Künstlerin. Hier findet eine geschlagene Frau zu ihren Wurzeln und zu ihrer Würde zurück.

Rau und rudimentär

Kühn und bewusst fragmentarisch kombiniert Siegel Keramik, Metallteile und Fundstücke aus der Natur miteinander. Die Oberflächen bleiben rau und rudimentär. In großen Gesten gestaltet sie auf großformatigen Leinwänden das Kriegerinnenmotiv in den Brauntönen, die sich aus der Benutzung von Holzbeize ergeben.
Zum dritten Mal haben ihre Arbeiten seit 2005 den Weg in Kielmeyers Weinberg gefunden. „Wein und Kunst, das passt zusammen“, meint Thomas Kielmeyer. Am Sonntag fand das auch das Vernissagenpublikum und bevölkerte zahlreich den Rebhang und den Gewölbekeller, den Kielmeyers Vorfahr als Petroleumlagerstätte gebaut hatte. ..
Als „Sammlerin und Spurenleserin“ ordnete der Tübinger Rhetorikprofessor Joachim Knape die Künstlerin in seiner einführenden Rede ein. Die Betrachtung ihrer Werke verlange eine Auseinandersetzung in ernsthafter Arbeit und im Dialog, sagte er und verwies auf die soziale Funktion moderner Kunst seit Josef Beuys. In der Wahl der Motive, die nicht mehr die archaische Urmutter, sondern die Kriegerin beschwören und im kraftvollen Duktus ortet Knape einen neuen Schwerpunkt in der Arbeit der Künstlerin, den Kampf. Die Readymades, die sie mit ihren keramischen Arbeiten verbindet, kommen oft durch Zufall dazu. Bauch und Beine der „Schwangeren Kriegerin“ bestehen aus Heizungsteilen aus einer Gärtnerei.

Petra Weber-Obrock


aus dem Katalog zur Ausstellung
«Visages Contemporains de la Sculpture en Europe» Maubeuge 1985:

Karin Siegel s’exprime dans la terre cuite, le collage, le dessin et cherche, depuis peu, dans la pierre le contact avec un matériau plus résistant. L’artiste a d’abord exploité les ressources plastiques du torse humain en s’intéressant surtout aux manifestations fondamentales de la fertilité. Une prise de conscience écologique et politique a, par la suite, entraîné le transfert de ces mêmes préoccupations artistiques au paysage, où on retrouve la même concentration sur un morceau bien circonscrit, un torse ou « bloc » de Paysage. Dans ces pièces, beaucoup plus séduisantes grâce au traitement de la surface et à la couleur qui désormais joue un rôle important, une métamorphose, une fusion s’opère entre le corps de l’être humain et cette terre qu’il habite et dont il a besoin pour vivre. Or, si les traits zoomorphes du paysage que ces pièces nous présentent semblent témoigner de ses ressources de vitalité, il est meurtri par l’intervention humaine : son épiderme porte l’empreinte de matériels techniques, il en a subi de profondes coupures et reste marqué de blessures et de sutures, autant de symboles des menaces qui pèsent sur l’homme et que celui-ci ressent jusque dans son propre corps.

Laurence Hardy-Marais


Text für Infotafel, Ausstellung im Burgenlandzentrum, Kunstverein Feuerbach, 2005

Günther Wirth schreibt in „Kunst im deutschen Südwesten" (1982) im Kapitel „realistische Tendenzen":

"Für Karin Siegel, geboren 1946, ist das Lebensvolle der Figur, das sich mit dem Lustvollen verbindet, ein durchgängiges Motiv. Ihre Tonplastiken brechen auf wie überreife Früchte, legen Hohlformen frei und Formenkerne bloß. Mischgestalten enthalten Männliches und Weibliches zugleich. Die Künstlerin drängt zum schwellenden, lustbetonten Körper, der auch durch Aushöhlung keine Einbuße des Volumens erfährt. Neuerdings wird ihr auch die Landschaft zum erotisierten Körper".

Im Anschluss an jene Körperlandschaften widmete ich mich dem lustvollen Quetschen menschlicher Torsi zu Pflaster- oder Ziegelsteinen ("Mauer" im Foyer) - was damit endete, dass ich in jedem Baustein monumentaler Staatsarchitektur eine verformte menschliche Figur vermute.

Gerade beschäftigen mich die Vögel Neuseelands.

Erst vor ungefähr 1000 Jahren landeten auf den vorher säugetierlosen neuseeländischen Inseln die ersten Menschen. Für diese polynesischen Seefahrer hatte der von mir hier so verehrte Moa den Charme und die erotische Ausstrahlung eines überdimensionalen Suppenhuhns - ernährte er doch ganze Schiffsmannschaften für mindestens eine Woche - bis er denn ausgerottet war.

Woraus zu ersehen ist, dass auch so genannte Naturvölker, wenn sie

sich eine neue Erde untertan machen, keinesfalls im Gleichgewicht mit der Natur leben.

Hier setze ich nun mit meinem "Moa-Kult" an. Was wäre gewesen, hätten sich diese Maori mehr Zeit gelassen und z.B. begonnen die Großvögel als Lebensspender zu verehren, wie etwa die Indianer den Bison. Vielleicht hätten einige dann sogar noch das Einfallen der Europäer bis heute überstanden - wie etwa der als Gott des Waldes verehrte Kauri-Baum.

In der formalen Auseinandersetzung kann ich Parallelen zwischen Vogel- und menschlicher Figur nicht verleugnen. Wieder werden prähistorische Idole nachempfunden („Vogelgöttin“), passende Fundstücke (Schwemmhölzer, Steine, Knochen) gesucht (oder selbst hergestellt).

Als Material verwende ich nach wie vor vorwiegend selbst gesammelte farbige Erden, zum Malen mit Leim und Acrylfarbe gemischt, auf Holz oder Karton.

Karin Siegel